Dienstag, 30. Dezember 2008

Silvester

Müde saß der alte Mann auf einer Bank, irgendwo, der Ort spielt für diese Geschichte keine besondere Rolle. Er hatte seine Hände gefaltet, die Schulter beugte er vor, grad so als trüge er eine unsichtbare schwere Last. Ich grüßte und wollte vorbei gehen, da klopfte er an seine rechte Seite und lud mich zum Verweilen ein. Seine von Falten zerfurchten Augen strahlten ganz im Gegensatz zur Haltung lebhaft, beinahe vergnügt. Neugierig setzte ich mich zu ihm und so kamen wir ins Gespräch.

„Bald “, fing er mit dem Erzählen an,"bald ist meine Zeit um. „Noch diesen Tag muss ich ausharren und um Mitternacht ist alles vorbei, dann gibt es mich nicht mehr.“ Er sah meinen erstaunten, ja erschrockenen Blick. Gerade als ich fragen wollte, sprach er gelassen weiter. „Du musst Dich nicht sorgen. Siehe, ich habe die Last der ganzen Welt bis heute geschleppt und es war nicht wenig, was mir aufgebürdet wurde. Hungersnöte, Kriege, Unwetterkatastrophen, Habgier, Raffgier, Krisen, Krankheit, Tod und Trauer, Lug und Trug wiegen schwerer von Tag zu Tag. Nun freue ich mich auf das Ende, denn dann kann ich ausruhen.“

Der alte Mann schloss die Augen und schlief ganz kurz ein. „Du bist ja noch da“. Ich nickte und fragte: „Was ist mit schönen Dingen? Gibt es denn nur Schlechtigkeiten?“ Er überlegte kurz und antwortete: „Sieh, alles was geschieht auf Erden wird gewogen, in der einen Schale liegen Last und Bürde. Jedoch in die andere, da kommen all die kleinen und mitunter großen Ereignisse, die das Herz erfreuen und das weniger Schöne leichter ertragen lassen: Vertrauen und Liebe, Mut und Optimismus, Geduld und Aufopferung, Zuversicht und Glaube, Durchhaltevermögen. Kinderlachen, Vogelgezwitscher, Frühlingserwachen, Sommerpracht, goldner Herbst und weiße Winterwelt. Manchmal halten sie sich die Waage, ein anderes Mal wiegt das Gute mehr, ein weiteres Mal das Schlechte.“

Der alte Mann legte wiederum ein Pause ein und war ganz in Gedanken versunken. Vorsichtig, um ihn nicht zu stören, stand ich auf, es wurde Zeit für mich zu gehen. Es war doch Silvesterabend und meine Familie und Freunde warteten schon auf mich.

„Warte noch ein paar Minuten“ sprach der alte Mann. „Gleich ist es soweit, dann ist meine Zeit um.“ Kaum, dass diese Worte verklungen, schossen die ersten Raketen mit lauten „Zisch“ in den Himmel und ein Sternenregen in den schillernsten Farben fiel vom Himmel. Glockengeläut tönte durch die Nacht und immer mehr Feuerwerkskörper vereinigten sich zu einem Lichterspektakel am Firmament. „Sieh nur wie schön“ rief ich dem alten Mann zu, als ich mich umdrehte, war er fort.

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